Preisverleihungen für Leuchtturm- und Buchpreis 2019
Stress-Experte: Integration ohne Ghettoisierung und Abschottung
Berlin (25. November 2019). „Fremdenfeindlichkeit erzeugt genau das Gegenteil dessen,
was sie zu verhindern sucht: eine Parallelwelt als Ghetto, in der die auf sich Zurückge-
worfenen keine andere Möglichkeit haben, als sich abzuschotten und sich langfristig zu
radikalisieren.“ Dies sagte der Münchener Stress-Experte Louis Lewitan am Montag-
abend in der Berliner Landesvertretung Baden-Württemberg anlässlich der Verleihung
der Jahrespreise 2019 der Stiftung Ravensburger Verlag. Der Psychologe und Coach
hielt den Festvortrag zum Thema „Wie kann Integration gelingen?“ und würdigte darin
besonders das Jugendnetzwerk YouthNet als „leuchtendes Beispiel für eine engagierte
Zivilgesellschaft“. Er sagte: „Bei YouthNet lernen Jugendliche, mentale Barrieren und
mentale Silos hinter sich zu lassen.“
Leuchtturmpreis für Jugendnetzwerk YouthNet in München
An diesem Abend überreichte Vorstand Johannes Hauenstein den mit 12.000 Euro prämierten Leuchtturmpreis der Stiftung Ravensburger Verlag für ehrenamtliches Engagement an die Münchener Sozialunternehmerin und Moderatorin Eva Rapaport, die das interreligiöse und interkulturelle Jugendnetzwerk YouthNet ins Leben gerufen hatte. Gemeinsam mit der Foto-grafin und Pädagogin Sharon Bruck und dem Organisationsberater Dr. Oren Osterer (Poleges Consulting) leitet sie ehrenamtlich Programme und Workshops für Münchener Jugendliche
Unterschiedlicher Herkunft, darunter etwa ein Drittel junger Menschen mit einer Fluchtbiografie. Seit 2017 führte das Team 80 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 20 Jahren durch das Programm und bildete unter ihnen 19 Mentorinnen und Mentoren für neue Gruppen aus. Die Jugendlichen lernen, Vorurteile zu erkennen, verbal und nonverbal zu kommunizieren, sie erleben Teamwork bei Sport und Kochen und realisieren gemeinsam ein Fotokunst-Projekt in Kooperation mit der Pinakothek der Moderne.
Buchpreis Familienroman für Saskia Luka
Den ebenfalls mit 12.000 Euro dotierten Buchpreis Familienroman nahm die Schriftstellerin Saskia Luka für ihren Roman „Tag für Tag“ entgegen (Kein&Aber). Die Familiengeschichte handelt von drei Frauen – Großmutter, Tochter, Enkelin –, deren Leben direkt und indirekt durch den Jugoslawienkrieg geprägt wurden, auch dies eine Integrationsgeschichte. Der Roman „wirft die alte Frage auf nach dem richtigen Weg zwischen notwendiger Integration in die Verhältnisse eines Gastlandes und der vielleicht übertriebenen Assimilation an dieses Gastland, die Saskia Luka mit großer Sensibilität als Familienkonflikt vor uns ausbreitet“, sagte der Literaturkritiker Dr. Uwe Wittstock in seiner Laudatio.
Die Jugoslawien-Kriege in der deutschsprachigen Literatur
In diesem Zusammenhang würdigte Wittstock das Phänomen, dass „die Kriege im ehemaligen Jugoslawien zu einem großen Thema der deutschsprachigen Literatur geworden sind“.
Weiter: „Die brodelnde Debatte um Peter Handke, um seine Verteidigung serbischer Nationalisten und den ihm zugesprochenen Nobelpreis hat nicht nur im Literaturbetrieb unversöhnliche Gegensätze aufgerissen. Sie zeigt, wie nah uns diese Kriege bis heute sind.“ In Saskia Lukas Roman spielten Politik und Schuldfragen nach Massakern und versuchten Genoziden zwar fast keine Rolle, dennoch handle die Familiengeschichte auf diesem Hintergrund. „Es ist unmöglich geworden, sich vor den Kriegen anderer Länder hinter Grenzen verschanzen zu wollen“, sagte Wittstock.
Stress-Experte: „Antisemitismus in Deutschland auf dem Vormarsch“
„Jeder vierte Deutsche denkt antisemitisch“, berichtete der Stress-Experte Louis Lewitan und bezog sich dabei auf eine aktuelle Umfrage des Jüdischen Weltkongresses. Antisemitisch zu denken, bedeute nicht allein, Juden auszuschließen, sondern: „Die gruppenbezogene Menschenverachtung und Menschenfeindlichkeit beschränkt sich nicht auf die jüdische Gemeinschaft, sie breitet sich aus. Populisten nehmen Muslime, Schwule, Behinderte, Obdachlose, Frauen und Langzeitarbeitslose ins Visier.“
Integration geht Einheimische und Geflüchtete an
In seinem Vortrag zum Thema „Wie kann Integration gelingen?“ widmete sich Lewitan den psychologischen Aspekten dieser gesellschaftspolitischen Frage. Er schilderte die psychische Situation beider Seiten – der „Einheimischen, von denen viele sich abschotten und Angst vor Fremdem und Neuem haben“ und der häufig kriegstraumatisierten Geflüchteten „die auf ein besseres, menschenwürdiges Leben in Berlin oder Rosenheim hoffen und sich auf Unbekanntes einlassen müssen“. Deklassierung und hierarchisches Denken schließe allerdings Begegnungen und Dialoge auf Augenhöhe aus, dies „steht im Widerspruch zu unserem Grundgesetz und Gleichheitsgrundsatz“. Menschen, die das Versammlungsrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung missbrauchten, „um Andersdenkende zu verunglimpfen, politische Gegner zu diffamieren, Juden zu beleidigen, Muslime zu schmähen, verstoßen gegen unser Grundgesetz.
Wir brauchen klare Worte, klare Werte und klare Strafen.“