Diese Produkte wären wirklich betroffen – foodwatch: Industrieverbände führen Öffentlichkeit mit Lobby-Kampagne hinters Licht
Berlin, 4. Mai 2023. Die Verbraucherorganisation foodwatch hat der Lebensmittelindustrie und der Werbewirtschaft vorgeworfen, mit ihren Lobbykampagnen gegen die geplanten Werbeschranken zum Schutz der Kindergesundheit die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.
Wie jede andere Milch darf auch die Landliebe Vollmilch weiterhin auf allen Kanälen beworben werden. Anders sieht es bei gesüßten Milchgetränken aus. Ein Beispiel: Müllermilch Vanille enthält zehn Gramm Zucker pro 100 Milliliter. Das ist in etwa so viel Zucker wie in einer klassischen Coca-Cola.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) erwecke zum Beispiel auf ihrer Kampagnen-Webseite www.lieber-muendig.de den Eindruck, dass das Gesetz Werbung für ganze Produktkategorien, wie Käse, Joghurt, Müsli oder Maultaschen verbiete. Der Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) spricht gar von einem „weitgehenden Totalwerbeverbot für Lebensmittel“. Das sei nachweislich falsch, so foodwatch. Tatsächlich sei lediglich die Werbung für vereinzelte Lebensmittel wie Eiscreme und gesüßte Getränke stark eingeschränkt. In anderen Produktkategorien, wie Joghurt, Käse oder Müsli gebe es etliche Produkte, die weiterhin jederzeit beworben werden dürften. Grundlage für Özdemirs Gesetzentwurf sind dabei die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
„Die Lebensmittelindustrie schürt Panik vor einem Totalwerbeverbot für Produkte wie Käse oder Müsli. Etliche Lebensmittel können jedoch nach wie vor an Kinder vermarktet werden – von Cornflakes über Maultaschen bis hin zu Fruchtjoghurts. Özdemirs geplantes Gesetz orientiert sich an dem wissenschaftlich fundierten WHO-Nährwertprofil. Produkte mit zu viel Zucker, Fett oder Salz fallen durch – und das völlig zurecht: Denn es sind genau diese Produkte, von denen Kinder weniger essen sollten“, erklärte Luise Molling von foodwatch.
Im Schnitt halten etwa 40 Prozent der Lebensmittel die vom Bundesernährungsministerium vorgeschlagenen Grenzwerte für Kalorien, Zucker, Fette und Salz ein. Das hat eine Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) ergeben. In den meisten Lebensmittelkategorien könnte demnach eine beträchtliche Zahl von Produkten weiterhin uneingeschränkt beworben werden.
Fünf Beispiele:
- Frühstücksflocken: Kellogg’s Frosties liegen mit einem Zuckergehalt von 37 Prozent weit über den Grenzwert von 12,5 Prozent. Im Gegensatz dazu könnte Kellogg’s seine Cornflakes weiterhin auf allen Kanälen bewerben: Das Produkt enthält lediglich acht Gramm Zucker auf 100 Gramm.
- Früchtemüsli: Auch bei Früchtemüslis gibt es Produkte, die nach wie vor uneingeschränkt vermarktet werden können. Etwa das Beerenmüsli von Mymuesli mit 10,4 Prozent Zucker. Das Beerenmüsli von Alnatura liegt mit 18 Gramm pro 100 Gramm hingegen deutlich über dem Grenzwert von 12,5 Gramm.
- Joghurts: Der Erdbeer-Joghurt von Gut & Günstig enthält 12,1 Gramm Zucker je 100 Gramm und 0,9 Gramm gesättigte Fettsäuren. Er kann gemäß Özdemirs Gesetzentwurf nach wie vor auf allen Kanälen beworben werden. Der Ehrmann Almighurt Erdbeere hingegen liegt mit 13 Gramm Zucker pro 100 Gramm knapp über dem Grenzwert von 12,5 Prozent und mit 1,8 Gramm gesättigten Fettsäuren deutlich über dem WHO-Grenzwert von 1,0 Gramm je 100 Gramm.
- Käse: Auch bei Käse gibt es Produkte, die nach wie vor uneingeschränkt beworben werden dürfen. Etwa der Frischkäse Philadelphia Balance mit 11 Gramm Fett auf 100 Gramm. Der Ferdi Fuchs Gouda enthält dagegen mit 29 Gramm zu viel Fett.
- Gnocchi: Die Lebensmittelindustrie warnt, dass für Gnocchi angeblich keine Werbung mehr gemacht werden könnte. Das stimmt nicht: Zum Beispiel die Kartoffel-Gnocchi von Rana können nach wie vor unbegrenzt vermarktet werden. Anders sieht es mit dem „Pfannen-Gnocchi“ vom gleichen Hersteller aus. Sie enthalten mit 1,8 Gramm je 100 Gramm deutlich zu viel Salz. Der Grenzwert liegt bei 1,27 Gramm.
Bundesernährungsminister Cem Özdemir hat Ende Februar Eckpunkte für ein Gesetz vorgestellt, das die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel beschränken soll. Werbung für Produkte, die die WHO-Nährwertkriterien nicht erfüllen, soll tagsüber zwischen 6 und 23 Uhr – also immer dann, wenn Kinder vor den Empfangsgeräten sitzen – im TV, Internet und Hörfunk untersagt sein. Durch Fernsehwerbung werden Kinder insbesondere zur abendlichen Primetime erreicht, wenn die Kinder mit ihren Eltern vor dem TV sitzen. Unter den bei Kindern beliebtesten Sendungen ist laut einer foodwatch-Analyse jede dritte Sendung kein klassisches Kinderformat, sondern zum Beispiel ein Familienfilm, eine Casting-Show oder eine Sportübertragung. Laut Özdemirs Gesetzentwurf sollen auch Influencer:innen in den sozialen Medien nur noch für ausgewogene Lebensmittel werben dürfen.
Kinder essen etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.
Quellen und weiterführende Informationen: