Staatsanwälte unter Verdacht – Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt – WDR-Recherchen erhärten Vorwürfe – SPD spricht von „Rechtsbeugung“
Vier Staatsanwälte der Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Korruption stehen unter dem Verdacht der Strafvereitelung im Amt. Nach Informationen des WDR prüft die Generalstaatsanwaltschaft Hamm derzeit eine entsprechende Strafanzeige. Hintergrund ist der Skandal um die illegale Entsorgung giftiger Abfälle aus der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen. Rund 30.000 Tonnen dieser sogenannten Ölpellets waren illegal in einer Tongrube in Schermbeck abgelagert worden, noch größere Mengen werden bis heute in einem Kohlekraftwerk verbrannt.
Mitte letzten Jahres war in einer Strafanzeige gegen die beteiligten Staatsanwälte der Vorwurf erhoben worden, sie hätten mögliche Beteiligte des Unternehmens BP und der Aufsichtsbehörden bei ihren Ermittlungen gezielt verschont. Dem WDR liegen mehrere Dokumente vor, die diesen Verdacht erhärten. Demnach wussten die Bochumer Staatsanwälte seit Ende 2013 nicht nur von der Gefährlichkeit der Ölpellets, sondern auch von den Versuchen der Firma BP/RuhrOel, diese Gefährlichkeit zu verschleiern und von der möglichen Beteiligung von Vertretern der Aufsichtsbehörde (Bezirksregierung Münster) daran.
So hatte die Staatsanwaltschaft frühzeitig vollständigen Einblick in Akten und interne Schriftwechsel einer geheimen „Task Force ‚Reduzierung Pelletskosten‘“ bei BP. Im Zuge der Ermittlungen gegen mehrere Abfallmakler wegen der illegalen Deponierung von 30.000 Tonnen dieser Pellets in einer Tongrube am Niederrhein äußerte die Staatsanwaltschaft bereits Mitte Dezember 2013 den Verdacht, dass sich auch Mitarbeiter der BP/RuhrOel strafbar gemacht haben könnten. In einem Durchsuchungsbeschluss vom 4.8.2014, der dem WDR ebenfalls vorliegt, wurde dieser Verdacht ausführlich begründet.
Ein Ermittlungsverfahren wurde dennoch nicht eingeleitet. Mitarbeiter von BP wurden stets nur als Zeugen vernommen. Stattdessen gab es mehrere informelle Treffen zwischen Staatsanwaltschaft, Kripo und BP, die in den entsprechenden Protokollen als „Rechtsaustausch“ bezeichnet werden. Dabei ging es immer wieder um die Frage, ob die Ölpellets Sonderabfall sind oder nicht. Eine Schlüsselfrage, wie das jüngste Urteil des Landgerichts Bochum im Januar bestätigte, denn „eine Einordnung aller Pellets als gefährlicher Abfall (hätte) dazu geführt, dass der RuhrOel eine Absteuerung der Ölpellets in das Kraftwerk in Gelsenkirchen-Scholven verschlossen gewesen wäre.“ – Was in der Konsequenz Millionen-Verluste für BP bedeutet hätte.
Eines der wichtigsten dieser Treffen fand unter Beteiligung von Staatsanwaltschaft, Kripo, Bezirksregierung Münster und des Landes-Umweltamtes (LANUV) am 16.4.2014 statt. Das einzige Protokoll der Besprechung – immerhin Teil der Ermittlungsakten – wurde allerdings nicht von einem der teilnehmenden Kripo-Beamten oder Staatsanwälte geschrieben, sondern von einer Anwältin der Firma BP/RuhrOel. Entsprechende Recherchen des WDR bestätigte die Staatsanwaltschaft Bochum auf Anfrage.
Erst Mitte Juni 2018 – fast gleichzeitig mit dem Eingang einer entsprechenden Strafanzeige – nahm die Staatsanwaltschaft Bochum Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Firma BP/RuhrOel „wegen des Vorwurfs des unerlaubten Umgangs mit Abfällen (‚Ölpellets‘)“ auf, die bis heute nicht abgeschlossen sind.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, Michael Hübner, kommentiert die WDR-Recherchen mit den Worten: Das ist wirklich unerhört, in welcher Art und Weise die Bezirksregierung, die Firma BP und die Staatsanwaltschaft offensichtlich zusammengearbeitet haben, um die Verbrennung der Pellets zu ermöglichen – dauerhaft und langfristig zu ermöglichen, und damit BP einen wirtschaftlichen Vorteil eingeräumt haben. Da ist offensichtlich Recht gebeugt worden.“ Hübner fordert, dass die weiteren Ermittlungen – sowohl die gegen BP/RuhrOel, als auch die gegen die Bochumer Staatsanwälte – durch eine unabhängige, bislang nicht mit dem Fall befasste Stelle erfolgen müsse. Die Staatsanwaltschaft Bochum hatte nach der Anzeige vom Juni 2018 zwar gegen ihre vier beschuldigten Mitarbeiter ermittelt, das Verfahren jedoch nach wenigen Wochen wieder eingestellt. Durch das Eingreifen der Generalstaatsanwaltschaft ist das Verfahren nun wieder offen.
Das Justizministerium wollte sich auf Anfrage nicht zu der Angelegenheit äußern. Auch die betroffene Staatsanwaltschaft in Bochum lehnte mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen gegen das eigene Haus eine Stellungnahme ab.
Stand: 30.01.2019, 06.00 Uhr