Gegen Menschen, die Kooperation und Egoismus raffiniert einsetzen, ist kein Kraut gewachsen
Zusammen mit anderen geht vieles besser. Gleichzeitig ist Wettbewerb ein prägendes Element unserer Gesellschaft. Im Kampf um Aufträge und Positionen muss man erfolgreicher sein als seine Mitbewerber oder Kollegen. Wann kommt man mit Kooperation, wann mit Egoismus weiter? Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön haben ein Experiment entwickelt, mit dem sie den Erfolg von kooperativen und egoistischen Verhaltensstrategien untersuchen können. Den Forschern zufolge ist eine als „Ausbeutung“ bezeichnete Strategie besonders erfolgreich, bei der Kooperation und Egoismus sich so abwechseln, dass der Mitspieler sich nicht dagegen wehren kann. Die Ausbeutungsstrategie funktioniert unter hohem Konkurrenzdruck am besten – also dann, wenn nur einer gewinnen kann.
„Ausbeuter erscheinen oft als nette Kollegen. Sie beantworten Freundlichkeit mit Freundlichkeit, so dass Konkurrenten an ein Missverständnis glauben, wenn sie immer wieder über den Tisch gezogen werden. Diese müssen mitspielen, um nicht selbst noch mehr zu verlieren. Die scheinbar freundliche, aber beinharte Ausbeuterstrategie zahlt sich durch Mehrgewinn aus“, erklärt Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön. Zusammen mit Lutz Becks, der inzwischen an der Universität Konstanz forscht, hat er den Willen zur Zusammenarbeit und Ausbeutung bei Menschen unter verschiedenen Bedingungen untersucht.
Aus gegenseitiger Hilfe kann leicht Ausbeutung werden, wie Berechnungen von Wissenschaftlern zeigen. Dieses Problem menschlichen Sozialverhaltens untersuchen Theoretiker mit dem so genannten Gefangenendilemma. In diesem Spiel profitieren zwei Teilnehmer stärker davon, wenn sie kooperieren als wenn sie sich beide egoistisch verhalten. Wenn aber einer egoistisch ist und der andere kooperiert, erhält der Egoist den größten Gewinn, der Kooperierende geht leer aus.
Kooperation lohnt sich demnach nur, wen man immer wieder auf denselben Mitspieler trifft und dann vorausgegangen Egoismus „bestrafen“ und Kooperation belohnen kann. Wissenschaftler haben solche „Wie du mir, so ich dir“-Strategien lange als die erfolgreichsten Verhaltensstrategien und Rezept für beidseitige Kooperation gehalten.
Ausbeuter-Strategie ist unschlagbar
Tatsächlich verhalten sich viele Menschen aber in der Realität seltener kooperativ als theoretisch im Gefangenendilemma vorhergesagt. Die als unschlagbar bezeichnete „Ausbeuter“-Strategie, die 2012 erstmals von zwei US-amerikanischen Forschern beschrieben worden ist, kann diese Diskrepanz erklären. Der Ausbeuter nutzt seinen Mitspieler systematisch aus, indem er ihn zu ständiger Kooperation zwingt. Ein „Ausbeuter“ reagiert auf die Zusammenarbeit seines Gegenübers in 60 Prozent der Fälle mit eigener Kooperation. In 40 Prozent verhält er sich egoistisch und kassiert dann den maximalen Gewinn.
Der Mitspieler muss sich dem Ausbeuter fügen, weil nur das sich für ihn lohnt. Er kann seinen kleinen Gewinn nur steigern, wenn er immer häufiger kooperiert, um möglichst viel von den 60 Prozent Kooperation des Ausbeuters zu profitieren. Er gewinnt dadurch zunehmend mehr, verschafft aber dem Ausbeuter einen vielfach höheren Gewinn.
Experimente von Manfred Milinski und seinen Mitarbeitern in Plön haben gezeigt, dass Menschen tatsächlich zu Kooperation angetrieben werden und sich ausbeuten lassen, wenn sie gegen einen Computer mit entsprechender Strategie spielen. Ein Computer lässt sich aber nicht davon beeindrucken, wenn seine menschlichen Spielpartner in der zweiten Hälfte des Experiments zunehmend unwillig jegliche Kooperation verweigern. Deshalb blieb trotz der Experimente unklar, ob ein menschlicher Ausbeuter den Disziplinierungsversuchen seiner Konkurrenten nicht doch irgendwann nachgeben und sich wieder kooperativer verhalten würde.
Bonus als Anreiz zur Ausbeutung
Manfred Milinski und Lutz Becks haben an über 100 Studenten untersucht, ob und unter welchen Bedingungen sich Ausbeuter disziplinieren lassen. In 49 aufeinanderfolgenden Runden des Gefangenendilemmas spielten dabei immer zwei Studenten um reale Geldbeträge. Mit einem Bonus erhöhten die Wissenschaftler den Konkurrenzdruck unter den Spielern. In einem ersten Experiment wurde jeweils ein Spieler ausgelost, der, am Ende einen zusätzlichen Bonus von zehn Euro erhielt, wenn er mindestens zehn Prozent mehr als der Mitspieler verdiente. Im zweiten Experiment bekam der Spieler den Bonus, der zehn Prozent mehr als der Konkurrent verdient hatte. In einem Kontrollexperiment gab es keinen Bonus zu gewinnen.
Ohne Aussicht auf einen Bonus arbeiteten die Spieler schnell zusammen und erzielten meist einen hohen Gewinn. Sie benutzen oft eine erst kürzlich beschriebene kooperative Strategie („großzügig“). Die Ausbeuter-Strategie trat hier nicht auf. Wurde jedoch einer der Spieler mit einem Bonus besonders angestachelt, entwickelte sich dieser in vielen Fällen zum Ausbeuter. Obwohl ihn der Mitspieler immer wieder zu disziplinieren versuchte und die Zusammenarbeit verweigerte, widersetzte sich der Ausbeuter und kooperierte im Verlauf des Experiments sogar immer seltener anstatt häufiger. Auch im Experiment, in dem der potentielle Bonusspieler nicht vorbestimmt war, waren die Ausbeuter dauerhaft am erfolgreichsten.
Durch den Bonus konnten die Ausbeuter sogar noch mehr verdienen als die kooperativen Spieler mit der „großzügigen“ Strategie, die keine Aussicht auf einen Bonus hatten. „Herrscht starker Konkurrenzdruck, ist der Wille zu Zusammenarbeit kein Erfolgsrezept. Unsere Ergebnisse zeigen, warum Menschen sich in der Realität oft viel weniger kooperativ zeigen als bislang vorhergesagt“, erklärt Becks.