Belgische Risiko-Reaktoren

Internationales Gremium von Atomexperten kritisiert Neubewertung der Bundesregierung bei belgischen Risiko-Reaktoren / „Bundesregierung missachtet grundlegende Sicherheitskriterien“

Monitor | 15.11.2018, 21.45 – 22.15 Uhr | Das Erste

Ein internationales Netzwerk unabhängiger Atomenergieexperten übt scharfe Kritik an der Neubewertung der Bundesregierung zu den umstrittenen belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3. Das berichtet das ARD-Magazin MONITOR (Das Erste, Donnerstag, 15.11.2018, 21.45 Uhr) mit Bezug auf ein Schreiben der International Nuclear Risk Assessment Group (INRAG) an das Bundesumweltministerium. Der Brief liegt MONITOR exklusiv vor. Die INRAG kritisiert darin, dass die Bundesregierung „in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass der Sicherheitsnachweis für Tihange 2 tragfähig sei und besondere Risiken nicht mehr bestünden“. Tatsächlich aber sei das Sicherheitsrisiko heute eher größer als zuvor.

Hintergrund ist die Entdeckung zahlreicher Haarrisse in den Reaktordruckbehältern von Tihange 2 und Doel 3 vor sechs Jahren. Nachdem die Anlagen zwischenzeitlich abgeschaltet worden waren, hält die belgische Atomaufsichtsbehörde inzwischen den erforderlichen Sicherheitsnachweis für erbracht. Im Sommer hat dann auch die deutsche Bundesregierung von der Forderung Abstand genommen, die beiden belgischen Reaktoren wegen eklatanter Sicherheitsprobleme abzuschalten. Das Bundesumweltministerium beurteilt sie nunmehr offiziell wie alle anderen älteren Kernkraftwerke in Europa und wünscht sich deren Abschaltung nur noch ganz allgemein aufgrund ihrer hohen Lebensdauer.

Laut INRAG entbehrt diese Änderung der Bewertung jeglicher Grundlage: „Das Risiko eines katastrophalen Versagens des Reaktordruckbehälters von Tihange 2 ist weiterhin nicht praktisch ausgeschlossen“, heißt es in dem Schreiben. Zu den Mitgliedern der INRAG gehören internationale Atomexperten, darunter ehemalige Leiter nationaler Aufsichtsbehörden. Der Bundesregierung werfen die Experten vor, „grundlegende Sicherheitsprinzipien“ aufgegeben zu haben. „Wenn wir bei der Sicherheit von Kernkraftwerken mit solchen Bewertungskriterien auskommen, dann wird es gefährlich für Europa“, so INRAG-Mitglied Wolfgang Renneberg, ehemaliger Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, gegenüber MONITOR. Bis heute sei nicht eindeutig geklärt, wie die Risse in den Reaktordruckbehältern entstanden seien, ob sie sich vergrößert hätten und wie sie sich im Falle eines Störfalls auf die Festigkeit der Stahlwände auswirkten.

Das Bundesumweltministerium beruft sich bei seiner Einschätzung auf eine Stellungnahme der deutschen Reaktorsicherheitskommission (RSK) vom Mai 2018, in der diese feststellt, im Austausch mit den belgischen Aufsichtsbehörden seien wesentliche Fragen geklärt worden. Eine Sicherheitseinschätzung gibt die Kommission in ihrer Stellungnahme jedoch nicht ab – es handele sich dabei um eine Interpretation durch das Bundesumweltministerium, so der RSK-Vorsitzende Prof. Rudolf Wieland gegenüber MONITOR. Das Bundesumweltministerium betont auf Anfrage, die Verantwortung und die Sicherheitseinschätzung für den Betrieb der belgischen Reaktoren liege „ausschließlich in der Verantwortung der belgischen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde (FANC)“.

Auch die nordrhein-westfälische Landesregierung kritisiert die Haltung des Bundesumweltministeriums: „Nur ganz allgemein die Abschaltung alter Reaktoren zu fordern, reicht nicht aus. Die Landesregierung hält weiterhin die Abschaltung von Tihange 2 und Doel 3 aus Sicherheitserwägungen für erforderlich“, so NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) gegenüber MONITOR. „Neben den Rissen in den Reaktordruckbehältern sind auch weitere Mängel in den Reaktoren aufgetreten. Wir halten deshalb auch an unserer Klage zur Stilllegung fest.“

Stand: 15.11.2018, 09.00 Uhr

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